Koordination und Erlernen von komplexen Bewegungen mit redundanten Gliedmassen

Einblick in die Arbeit meines medizinischen Doktoranden David Mehler in London (2013).

Die Ausführung der meisten natürlichen Bewegungen, zum Beispiel das Ergreifen eines Glases, kann durch eine Vielzahl von Bewegungskombinationen und Gelenkstellungen von Rumpf und distalen (körperfernen) Gliedmassen erreicht werden. Zum Beispiel kann das Glas von der Seite gegriffen werden, was ein stärkeres Abspreizen des Ellenbogens erfordert als das Greifen des Glases von der Vorderseite. Diese Redundanz des menschlichen Bewegungsapparates bedingt sich durch die Tatsache, dass der Körper mit weit mehr Freiheitsgraden ausgestattet ist als benötigt werden, um in unserer dreidimensionalen Welt ein Ziel zu erreichen. Einen neurologisch gesunden Menschen stattet die beschriebene biomechanische Redundanz mit einem enormen Flexibilitätsgrad aus. Wird die Bewegung eines Gelenks kurzfristig eingeschränkt oder wird ein Gelenk suboptimal angesteuert, können andere reflexartig kompensieren, was die Leichtigkeit und Varianz alltäglicher Bewegungen charakterisiert. Auf der anderen Seite stellt diese Flexibilität das Gehirn auch vor die Herausforderung aus der Vielzahl möglicher Bewegungen die gerade passende auszuwählen. Gegenwärtig ist nur wenig bekannt darüber, wie das Gehirn beispielsweise die 13 Freiheitsgerade vom Sternoklavikular- bis zum Fingerendgelenk (13-dimensionaler Gelenkraum) in einem nur durch 3 Dimensionen definierten Raum koordiniert.

Auch existiert derzeit nur wenig Wissen darüber, wie sich diese fundamentale Eigenschaft des Bewegungsapparats gezielt in der Physiotherapie zu Nutze machen lässt. Insbesondere die Kontrolle des Handgelenks ist bei vielen Pathologien zB nach einem Schlaganfall vulnerabel und symptomanfällig. Patienten verlieren häufig die Kontrolle von körperfernen Gelenken und kompensieren diesen Funktionsverlust mit körpernahen Gelenken („motor compensation“), was in Folge die Flexibilität der Bewegungen erheblich einschränkt. Eine rechtzeitig und zielgerichtet erfolgende Physiotherapie ist jedoch in der Lage, Funktionen in betroffenen körperfernen Gelenken teilweise wieder herzustellen („motor recovery“).

Gängige Versuchsaufbauten zur Untersuchung der motorischen Kontrolle können die Redundanz in Armbewegungen nicht erfassen und kontrollieren. Daher wurde in einem Kollaborationsprojekt mit der Human Robotics Group des Imperial College ein innovativer Roboterarm entwickelt, mit welchem die Redundanz von Armbewegungen explizit erforscht und kontrolliert werden kann. Ziel meines Projekts ist es, diese neue Technologie für die neurowissenschaftliche Forschung zu validieren, experimentelle Methoden zur Charakterisierung redundanter Armbewegungen zu entwickeln, und schlussendlich etablierte Lernmechanismen unter Berücksichtigung der Redundanz in diesem neuen Experimentaufbau zu testen.

Diese Arbeit bildet die Grundlage für eine Übertragung der Technologie in die neurologische Rehabilitationsmedizin als Robot-assistierte Physiotherapie. Ein wesentlicher Vorteil des Robot-assistierten Trainings sind die Effizienz, Präzision und der spielerische Anreiz beim Ausführen von Bewegungen mit einem Roboterarm. Auf diese Grundlagenarbeit sollen im assoziierten National Hospital for Neurology and Neurosurgery Patientenstudien folgen. Auch mit Blick auf den stattfindenden demographischen Wandel ist daher das hier beschriebene Projekt ein Beitrag zur Entwicklung zukunftsweisender Technologien für die neurologische Rehabilitationsmedizin.